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Politik: Wahlrecht



Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien,
hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht.
Alles andere ist sekundär.
(Jose Ortega y Gasset)
Wahlzettel
zur Wahl
des ersten
Bundestages 1949

Fundstelle
Kritik am Bundeswahlgesetz

1.Die Bundestagsabgeordneten werden in unmittelbarer Wahl gewählt, heißt es im Grundgesetz. Nun sind aber die meisten Bundestagsabgeordneten durch ihren Platz auf einer Landesliste einer Partei in den Bundestag gekommen und auf diesen Platz hat der Wähler keinen Einfluss. Es ist zweifellhaft, ob das als unmittelbare Wahl gelten kann.
2.Die 5%-Klausel im Bundeswahlgesetz soll eine Zersplitterung des Bundestages in zu viele kleine Parteien verhindern. Wenn aber bei einer Wahl mehrere kleine Parteien knapp unter den 5% der gültigen Stiummen bleiben, kann diese Klausel zu einer erheblichen Anzahl verlorener Stimmen führen. Deshalb wird hier (§ 4 Absatz 2) die sogenannte Abdeckungsregel vorgeschlagen, mit der die verlorenen Stimmen auf höchstens 5% beschränkt werden, ohne den Bundestag durch zu viele kleine Parteien zu zersplittern.
3.Ausgenommen von der 5%-Klausel sind bisher Parteien nationaler Minderheiten. Aber nur zweimal konnte eine Partei, der Südschleswigschen Wählerverband so einen Abgeordneten stellen. Wenn in Zukunft andere nationale Minderheiten -z. B. Türken, Syrer, Afghanen - zur Wahl antreten, wird der Sinn der Klausel unterlaufen. Deshalb gibt es in diesem Vorschlag keine Ausnahmeregel für nationale Minderheiten.
4.Die Bestimmung, dass sich auch Kandidaten ohne jede Unterstützung durch eine Partei um ein Bundestagsmandat bewerben können, hat seit Gründung der Bundesrepublik kaum je zu einem entsprechenden Ergebnis geführt. Sie ist überflüssig.



Vorschlag für ein neues Wahlgesetz

In den meisten Paragraphen (46 von 55) des Bundeswahlgesetzes geht es um das äußere Gerüst der Wahlen, es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern. Die Paragraphen, die den Kern dieses Vorschlags ausmachen, sind auf der folgenden Seite formuliert.

Nach diesem Vorschlag wird das System der Erst- und Zweitstimmen abgeschafft. Der Wähler hat eine Stimme, mit der er einen Bewerber und zugleich die Partei, die ihn aufgestellt hat, wählt. Der Wahlzettel sieht also genauso aus wie bei der ersten Bundestagswahl 1949 (siehe oben).

Nach den Grundsätzen der Verhältniswahl werden den Parteien die Sitze des Bundestages entsprechend der Gesamtzahl ihrer Stimmen im Bundesgebiet zugeteilt und entsprechend dem Anteil dieser Stimmen in den Bundesländern verteilt. Neu an diesem Vorschlag ist, dass die Reihenfolge der Kandidaten auf den Landeslisten der Parteien erst nach der Wahl geordnet wird und zwar entsprechend den Stimmen, die diese Kandidatenbei bei der Wahl erhalten haben. Die Sitze, die den Parteien in den Ländern zustehen, werden dann in der Reihenfolge ihrer neu geordneten Landeslisten vergeben.



Geschichte des Wahlrechts in der Bundesrepublik

Bei der ersten Bundestagswahl 1949 galt das in Deutschland traditionelle Vehältniswahlrecht mit Direktkandidaten (siehe Wahlzettel). Die danach an die Parteien fallenden Sitze des Bundestages vermindert um die gewählten Direktkandidaten wurden an die Bewerber auf den Landeslisten entsprechend der dort vorher festgelegten Reihenfolge vergeben. Auf Länderebene galt eine 5%-Klausel, die aber insgesamt kaum Wirkung zeigte. Im so gewählten ersten Bundestag gab es elf Parteien und drei Parteilose.

Aus Sorge vor einer Zersplitterung des Parlamentes wie in der Weimarer Republik wurde diskutiert, statt des Verhältniswahlrecht das Mehrheitswahlrecht nach angelsächischen Vorbild einzuführen. Die Befürworter des Mehrheitswahlrecht konnten sich zwar nicht durchsetzen, als Kompromis entstand aber 1953 das Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimme. Tatsächlich aber dominiert das Verhältniswahlrecht der Zweitstimme, die Erststimme ist kaum mehr als ein schmückendes Beiwerk. Nur die 5%-Klausel, die 1953 auf das gesamte Wahlgebiet ausgedehnt wurde, verhindert seitdem die Zersplitterung des Parlaments.

Erringt in einem Bundesland eine Partei mehr Direktmandate als ihr nach dem Stimmenverhältnis zustehen, dann entstehen Überhangmandate, deren Zahl allerdings bis zur Wiedervereinigung gering blieb. Dann aber wurde es nötig die steigende Zahl der Überhangmandate durch zusätzliche Mandate auszugleichen. So wurde der Bundestag 2021 mit 736 Abgeordneten zum größten frei gewählten Parlament der Welt.

2023 wurden für die nächste Bundestagswahl die Überhang und Ausgleichsmandate abgeschafft, von den Erst- und Zweitstimmen bleibt praktisch nur noch das Verhätniswahlrecht der Zweitstimme übrig. Ein Kandidat, der in seinem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhält, hat keine Garantie mehr, Abgeordneter im Bundestag zu werden. Damit ist der Sinn der Erststimme unterlaufen.



Parteiendemokratie

Ein demokratisches System, in dem die politischen Parteien die entscheidende Rolle bei politischen Entscheidungen innehaben, bezeichnet man als Parteiendemokratie und diese Charakterisierung trifft auf die Bundesrepublik gewiss zu. Das Grundgesetz bestimmt, dass die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Aber um sich durchzusetzen bei der politischen Willensbildung oder um eine Kandidatur zu erreichen, braucht ein Parteimitglied einiges an Ressourcen und vor allem Zeit. Auf außerhalb der Politik erworbene Kompetenzen oder berufliche Erfahrung kommt immer weniger an um in den Selektionsmechanismen der Parteien erfolgreich zu sein.

Wer so im innerparteilichen Kampf einen der aussichtsreichen Plätze auf einer Landesliste bekommt, ist als Bundestagsabgeordneter so gut wie gewählt. Es geht dann nur noch darum, dass genügend Wähler seiner Partei ihre Stimme geben.

Die Bundestagsabgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, heißt es im Grundgesetz. Ob die so von den Parteien vorsortierten Abgeordneten sich tatsächlich als Vertreter des ganzen Volkes verhalten oder eher als Vetreter ihrer Parteien, bleibt eine Frage. Deshalb wird hier vorgeschlagen, die Verhätniswahl mit der direkten Personenwahl zu verbinden.



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