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Geschichte der Rechtschreibung
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In der letzten Lautverschiebung etwa im 14. Jahrhundert änderten sich vor allem die Längen der Vokale. Um die neuen Längen zu kennzeichnen, wurde diesen Vokalen ein zusätzliche Buchstabe angehängt: auf einen langen Vokal folgte ein Dehnungsbuchstabe, auf einen kurzen ein verdoppelter Konsonant. Dies führte zu einer Tendenz, Buchstaben geradezu anzuhäufen. Da jeder, der schreiben konnte, solche und andere Ausschmückungen nach eigenem Gutdünken einsetzte, entstand eine beträchtliche Varianz in den Wortschreibungen. So findet man bei Luther für Wittenberg vierzehn verschiedene Schreibweisen. Bei aller Uneinheitlichkeit der Schreibung blieben die Texte doch verständlich, vorausgesetzt die Sprache wurde verstanden.

    






    
Im Wettstreit der mitteldeutschen Dialekte setzte sich dank der schnellen Verbreitung, die Luthers Bibelübersetzung in weiten Teilen Deutschlands fand, der obersächsisch-meißnische Dialekt durch, er wurde so zur Grundlage einer einheitlichen neuhochdeutschen Schriftsprache. Luthers Rat, beim Schreiben dem Volk aufs Maul zu schauen, war aber wertlos für jeden, der aus einem anderen Teil Deutschlands stammte. Deshalb und als Hilfe für Schulleute erschienen Bücher mit Regeln zur Grammatik und Orthographie der 'teutschen Sprache', und in langen Listen wurde die Schreibung von Wörtern festgelegt. Früh im 17. Jahrhundert begann auch die Auseinandersetzung um Prinzipien der Orthographie.

    












    
Die Vertreter des phonetischen Prinzips wollten eine Schreibung, die möglichst genau der Aussprache entsprach; das Problem dabei war allerdings die mundartliche Zersplitterung in Deutschland. Nach dem etymologischen Prinzip sollte die Schreibung die Herkunft und Verwandtschaft von Wörtern deutlich machen, und das morphologische Prinzip verlangte, den Wortstamm bei Flexion und Komposition beizubehalten. Es wurde vorgeschlagen, die langen Vokale immer zu verdoppeln, um so die Dehnungen einander anzugleichen, oder verschiedene, aber gleichlautende Wörter immer unterschiedlich zu schreiben. Von diesen einander widersprechenden Prinzipien wurde mal dieses, mal jenes angewendet, um aus den üblichen Schreibungen eine passende auszuwählen. So verschwanden mit der Zeit viele Schreibungen aus dem üblichen Schreibgebrauch, die Zahl der Varianten verringerte sich, bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur noch wenige Varianten und in vielen Fällen nur noch eine Schreibung übrig blieben. Gleichzeitig kam eine Entwicklung zur Großschreibung der Substantive zum Abschluss, die vor allem von den Druckern herrührte.

    






    
Als allgemein anerkannte Schriftsprache verdrängte dies Neuhochdeutsch mehr und mehr die niederdeutschen Dialekte und wurde schließlich im letzten Jahrhundert zur deutschen Standardsprache. Der wechselseitige Einfluss nicht nur der Sprache auf die Schreibung, sondern auch der Schreibung auf die Entwicklung und Verbreitung der Sprache erklärt die enge Verbindung der Sprache zu ihrer normierten Schreibung, der Rechtschreibung. Nicht selten wird diese enge Verbindung sogar als Einheit von Sprache und Schrift verstanden und als Begründung für die Ablehnung jeder Rechtschreibreform angeführt, weil Sprache nicht manipulierbar sei.

    








    
Kurz nach der Reichsgründung forderte eine Reichsschulkonferenz eine einheitliche Schulorthographie, und 1876 fand in Berlin die I. Orthographische Konferenz statt. Ihre weitgehenden Beschlüsse zur Vereinfachung der Rechtschreibung wurden von der Presse heftig bekämpft, sie wurden nicht umgesetzt. Stattdessen wurde 1902 an den deutschen Schulen eine vereinheitlichte, aber nur wenig vereinfachte Orthographie eingeführt, das Ergebnis einer II. Orthographische Konferenz, zu der fast nur Vertreter von Behörden eingeladen waren. Auf der Grundlage dieser amtlichen Regelungen veröffentlichte Duden sein Rechtschreibwörterbuch in siebter Auflage, nachdem er dreißig Jahre zuvor hauptsächlich das phonologische Prinzip vertreten hatte. Für ein Jahrhundert wurde der 'Duden' selbst zum amtlichen Regelwerk.

     Das phonetische Prinzip, das Grundprinzip jeder Buchstabenschrift, wird in der Rechtschreibung verletzt, wenn
(1) mehrere Buchstaben den gleichen Laut bezeichnen;
(2) ein Laut durch einen unpassenden Buchstaben bezeichnet wird;
(3) eine Folge von Lauten mit einem Buchstaben wiedergegeben wird;
(4) für einen Laut mehrere Buchstaben nötig sind;
(5) zusätzliche Buchstaben geschrieben werden;
(6) trotz Änderung der Aussprache die Buchstaben beibehalten werden.
Beispiele

Folge, Volk
sind
Axt
Schicht
Seefahrt
Tage, Tag



    
Für die Punkte (1), (2) und (3) hat es wohl nie vernünftige Gründe gegeben, während die Punkte (4) und (5) durch die Entwicklung von Sprache und Schrift verursacht wurden. Punkt (6) entspricht dem morphologischen Prinzip, das gerade für das Deutsche seine Berechtigung hat: weil sich der Wortstamm oft in der Aussprache ändert, dient dies Prinzip der besseren Worterkennung beim Lesen.

     Seit sich die neuhochdeutsche Schriftsprache im deutschen Sprachraum durchgesetzt hat, dort überall verstanden und mit mehr oder weniger Dialektfärbung auch gesprochen wird, besteht keine Notwendigkeit mehr für die vielen Konventionen der Rechtschreibung, die dem phonologische Prinzip entgegenstehen. Dazu kommt, dass Schrift bei weitem nicht mehr die einzige Möglichkeit ist, Sprache festzuhalten und weiterzugeben. Diese Entwicklungen haben die Rechtschreibung auf eine reine Tradition reduziert, deren Konventionen nur noch mit großem Aufwand in der Schule am Leben erhalten werden.
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